[Buchbesprechung] Norbert Leithold: Herrliche Zeiten

Buchbesprechung | irgendwieschoen.deBerlin-Wannsee am Vorabend des zweiten Weltkrieges: Die reiche Fabrikantenfamilie Kypscholl sieht der Zukunft gelassen entgegen.

Der selbstgefällige Vater, weil er sich mit seinem Rasierapperatewerk sicher wähnt, die Mutter Elisabeth, Künstlerin, weil sie etwas naiv ist. Sohn Otto möchte Maler werden, wird von seinem Vater allerdings in die Wehrmacht gezwungen. Tochter Anna arbeitet als überzeugte Rassenbiologin und lebt mit Siegfried zusammen, der sie gerne heiraten möchte.

Während des Krieges arbeitet Otto innerhalb der Armee als Fachmann für Kunst und ist zuständig für die Beschlagnahmung von Kunstwerken in besetzten Gebieten. Heimlich schafft er einige zur Seite, um sich Vorteile (und Geld) zu verschaffen.

Anna soll als Biologin an der Endlösungsfrage mitarbeiten, hat aber Angst vor den Konsequenzen und baut lieber ein Heim für Mütter auf, in dem diese „rassereinen“ Nachwuchs bekommen sollen. Ihr Projekt scheitert letztlich allerdings an der zu geringen Anzahl von Frauen.

In den letzten Kriegstagen erlebt Anna Schreckliches durch die russischen Besatzer, und Otto gerät in Kriegsgefangenschaft. Obwohl die Geschwister sich noch einmal kurz sehen, verlieren sie sich anschließend aus den Augen.

Anna lebt traumatisiert und für einige Jahre stumm in Mecklenburg in der entstehenden DDR. Sie bekommt eine Tochter und wohnt mit einem Mann zusammen – ob die beiden sich lieben, wird eigentlich nicht deutlich. Otto heiratet eine Hure und hat mit ihr einen Sohn. Bis zum Mauerbau „organisiert“ er Kunstwerke aus leer stehenden Herrenhäusern im Berliner Umland und agiert als Kunsthändler. Erst Jahre später begegnen sich Annas Tochter Regina und Ottos Sohn Karl.

Der Roman umspannt einen weiten Zeitraum von rund dreißig Jahren und zeichnet sich durch einige Zeitsprünge aus. Dadurch wird die Weiterentwicklung der gezeichneten Personen sehr deutlich: Ottos Ansinnen auf seinen eigenen Vorteil und Annas Bemühen, unsichtbar zu werden und ihr altes Leben zu vergessen. Beide versuchen nach Kriegsende gar nicht, einander wiederzufinden; sie denken vielleicht auch, der bzw. die andere sei gestorben.

So bedrückend sich das Buch zu Beginn durch die zahlreichen und detaillierten Kriegsschilderungen liest, so faszinierend sind die Charakterzeichnungen der Hauptpersonen gelungen. Keine Sympathieträger, jedoch sicherlich zu der Zeit typische Verhaltens- und Rollenmuster im damaligen Ost- bzw. Westteil des geteilten Deutschlands.

Durch das Thema keine leichte Kost, dennoch empfehle ich das Buch allen, die gerne Familiengeschichten und Romane über die Geschichte des 20. Jahrhunderts lesen und sich vor einem nachdenklichen Buch nicht scheuen.

DVA 2014. ISBN 978-3-421-04620-8. Auch als eBook lieferbar.