Gestatten? Bestatter.

Das letzte Geleit | schokotexte.

 

„Das letzte Geleit“ von Christiane Fux landete auf meinem Urlaubsbücherstapel und ist noch nicht mal neu: Es erschien 2012, und ich entdeckte es in der Buchhandlung, als ich auf der Suche nach Hamburg-Krimis war. Mich sprang das ungewöhliche Krimisetting an: Hier ermittelt Theo Matthies, und der ist nicht etwa Kommissar, sondern Bestatter in Hamburg-Wilhelmsburg. Soweit, so ungewöhnlich.

Ich gebe zu, das Buch fesselte mich dann nicht sofort. Zu wild die Sprünge, die Handlung unklar, aber nicht im positiv-spannenden Sinne, sondern ich war – etwas genervt. Hätte hier besser lektoriert werden müssen? Es dauerte dann einige U-Bahn-Fahrten, bis ich mühsam auf Seite 50 anlangte und ein paar Mal überlegte, das Buch einfach auszusortieren. Ich gab ihm dann noch eine allerletzte Chance – und plötzlich nahm die Handlung Fahrt auf. Einen Tag später war ich durch. 😉 Continue reading Gestatten? Bestatter.

{Lesetipp} Hamburg: Der Trümmermörder

Trümmermörder | schokotexte.de

 

Eiskalt. Wochenlang, monatelang. Im später sogenannten „Hungerwinter“ 1946/47 stand das Thermometer lange wie nie im Minusbereich. Die Menschen, die den Krieg überlebt hatten, froren und hungerten. Weder genug zu Essen noch ausreichend Heizmaterial: Die Züge und Schiffe kamen aufgrund der Kälte nicht mehr durch.

In diesem eisigen Winter Anfang 1947 spielt der erste der drei Kriminalromane von Cay Rademacher: „Der Trümmermörder“ schlägt zu und hinterlässt seine Opfer nackt auf Trümmergrundstücken. Und davon hat Hamburg leider genug: Ganze Stadtteile waren durch die englischen Flächenbombardements, besonders im Sommer 1943, zerstört worden. Nichts steht mehr, Straßenzüge sind komplett verwüstet und unter Schutt begraben. Man beginnt gerade erst mit der Räumung, aber es ist mühsam und aufwändig. Continue reading {Lesetipp} Hamburg: Der Trümmermörder

Hamburg: Die Jahrhundert-Trilogie

Jahrhundert-Trilogie | schokotexte.de

 

Als ich vor einigen Wochen in einer Buchhandlung stöberte, stieß ich – fast beim Weggehen – noch auf die „Töchter einer neuen Zeit“ von Carmen Korn. Ich überflog den Klappentext und kaufte das Buch kurzentschlossen. Bereits in den Wochen zuvor hatte ich andere historische Romane aus den 1920er Jahren verschlungen. Also genau mein „Beuteschema“! 

Eigentlich las ich gerade noch eine ganz andere Buchreihe, nämlich die historischen Berlinkrimis von Volker Kutscher. Sie spielen in den Jahren 1929 bis 1934, eine unheilvolle Zeit. Dank Kutschers eindrücklichem Erzählstil und den sehr in die Tiefe gehenden Schilderungen der aufkommenden und beginnenden NS-Zeit fesselten sie mich sehr, und ich beschäftigte mich viel mit den Themen der Zeit.

Die „Töchter einer neuen Zeit“ lagen also noch ein oder zwei Wochen, bis ich Volker Kutschers bisher letzten Band real und im Kopf beendet hatte. Die Bücher sind echt schwere Kost, weil man natürlich weiß, was alles noch kommen wird und dass die Nazis eben nicht 1935 ‚kein Thema mehr‘ gewesen sein werden. Continue reading Hamburg: Die Jahrhundert-Trilogie

Leo Berlin: Krimis im Miljöh der 1920er Jahre

Leo Berlin | schokotexte.de

Ich bin ein bisschen verliebt in Leo: Der Kommissar der Berliner Polizei ist gut aussehend, charmant, eloquent und ein effektiver Ermittler. Allerdings lebt er zu einer anderen Zeit, nämlich in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts.

Wir lernten uns letztes Wochenende in Berlin kennen: Ich bummelte durch eine große Buchhandlung und erblickte die Buchreihe mit Kommissar Leo Wechsler. Der Titel „Es geschah in Schöneberg“ sprang mir ins Auge – da habe ich eine Zeit lang gewohnt, und ein Krimi, der dort spielt? Das klang spannend. Beim Lesen des Klappentextes stellte ich allerdings fest: dieser Band ist Folge Nummer fünf. Ich griff zum ersten Band, „Leo Berlin“ – auch die Beschreibung hörte sich gut an. Also los! Continue reading Leo Berlin: Krimis im Miljöh der 1920er Jahre

[Lesetipp] Anne Jacobs: Die Tuchvilla

„Für alle Liebhaber von Downton Abbey!“ – Kennt ihr solche Empfehlungen auch? Auf Büchern oder bei TV-Tipps liest man so etwas immer wieder. HEUTE allerdings muss ich für „Die Tuchvilla“ sagen: Es stimmt!

"DieLange habe ich mich nicht mehr so schnell festgesaugt in einem Roman, mich lange nicht mehr so schnell fesseln lassen. Zugegeben: Ich liebe historische Romane, egal aus welchem Zeitalter.

Und ich mag Lebens-Geschichten, also biografisch angehauchte Bücher. Und ja, ein gewisser Kitschalarm lässt sich bei den meisten historischen Romanen auch nicht leugnen.

Doch die „Tuchvilla“ hatte für mich von allem, was es braucht, etwas:

  • eine beeindruckende Hauptfigur: Marie, Waisenkind, weiß kaum etwas über ihre Eltern
  • ein strahlendes Setting: Die Tuchvilla gehört dem Fabrikanten Johann Melzer, der in Augsburg Stoffe herstellt. Ähnlich wie in Downton Abbey gibt es die Herrschaft und die Dienstboten-Ebene mit jeweils all ihren Schicksalen und Verkettungen miteinander. Die Villa selbst ist dabei Dreh- und Angelpunkt
  • eine breite Palette von Gefühl und Emotion: Drama und Leidenschaft, (un)glückliche Liebe und Schicksal, Streit und Versöhnung, Glanz und Gloria – das alles gehört natürlich auch zur „Tuchvilla“

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[Buchbesprechung] Die Hure und der Spielmann

Irgendwie schön: "Die Hure und der Spielmann"Ein historischer Roman, der zufällig bei mir landete: „Stockholm“, las ich auf dem Rückentext und „Dreißigjähriger Krieg“. Nach einigen Seiten hatte ich mich festgelesen…

Zwischen Schweden und Böhmen

Hauptfigur des Buches ist Kristina, eine junge und rebellische Schwedin, die nicht zwangsverheiratet werden möchte. Sie flieht 1618 aus Stockholm, aber schon auf der Ostsee geraten ihre Pläne, sich zur Tante nach Böhmen durchzuschlagen, ins Wanken. Nach einem Überfall durch Piraten gerät sie in Gefangenschaft und wird irgendwo an der deutschen Küste an einen Bauern verkauft.

Zweite handelnde Person ist der junge Tonda, der in Prag aufwächst und durch seinen Stiefvater viel Leid ertragen muss. Durch einen evangelischen Mönch lernt er viel, muss später allerdings einsehen, dass dieser sich nur zu Bekehrungszwecken als evangelisch ausgegeben hat. Die Jesuiten, zu denen er gehört, versuchen mit aller Macht, die Menschen wieder zum katholischen Glauben zu bekehren.

Glaubenskriege und persönliche Konflikte

Ein Streit, der nicht nur das gesamte Buch durchzieht, sondern auch Europa während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges beherrschte. Jeder kämpfte gegen jeden, es ging nur ums Überleben – allerdings verbunden mit der Frage nach der „richtigen“ Konfession. Und das konnte heute die eine, morgen die andere sein. Unvorstellbar, wie viele Menschenleben dafür geopfert wurden und wie wenig ein einzelner Mensch zu jener Zeit galt.

Kristinas Bruder Erik ist Jahre später als Soldat auf der Suche nach seiner Schwester und findet ihr Tagebuch. So begibt er sich auf die Spurensuche.

Kristina selber durchzieht halb Europa, verdingt sich als Hure einiger Feldherren, bevor sie Tonda kennenlernt. Dieser, inzwischen ein Jesuitenpater, darf sich allerdings nicht auf Kristina einlassen. Doch natürlich kommt es anders…

Die gruselige Teufelsfigur auf dem Cover rührt übrigens daher, dass der Teufelsglaube zu dieser Zeit sehr verbreitet war. Andererseits nutzt Tonda als Mönch nicht nur seine Panflöte spielt, sondern auch Kasperlefiguren (darunter einen Engel, aber eben auch einen Teufel), um dem Volk zu predigen.

Mein Fazit

„Die Hure und der Spielmann“ empfehle ich allen, die sich für historische Romane und das Thema Religionskriege interessieren. In verständlicher Sprache geschrieben, vermittelt es einen (teilweise drastischen) Einblick in das Leben der Menschen in Deutschland von 400 Jahren. Trotzdem liest es sich gut, ist spannend und durch den Perspektivwechsel der Hauptfiguren wirklich abwechslungsreich.

Daher: Daumen hoch für einen gelungenen Schmöker!

Thomas Ziebula, Die Hure und der Spielmann. Bastei Lübbe TB 2014.

 

 

Lieblingsbuch: Der Medicus

Um Weihnachten herum lief der Zweiteiler im Fernsehen: „Der Medicus“! Wie bei vielen Buchverfilmungen dachte ich anschließend: Gut gemacht, aber hat mit dem Buch nur am Rande etwas zu tun.

Aber es brachte mich dazu, mein altes, zerlesenes Exemplar mal wieder aus dem Regal zu kramen.

Ich erinnere mich an einen Sommerurlaub mit meiner Familie in Schweden: Wir hatten das Buch mitgenommen, weil jemand es lesen wollte. Da es so toll war, wollten die anderen auch, und wir lasen schließlich abwechselnd oder sogar zeitgleich darin, so sehr zog uns der Roman in den Bann. Continue reading Lieblingsbuch: Der Medicus

[Buchbesprechung] Amy Tan: Das Kurtisanenhaus

Ein prächtiger, bunter historischer Roman, der in China vor 100 Jahren spielt. Lange schon liegt dieses Buch auf meinem „Das will ich noch besprechen!“-Stapel. Und zwar, weil es mir so gut gefiel – und nicht, weil ich es langweilig fand!

Das Mädchen Violet wächst in einem luxuriösen Kurtisanenhaus ihrer amerikanischen Mutter in Shanghai auf. Die bunte Welt fasziniert das Mädchen, treffen hier doch sowohl Chinesen als auch westliche Besucher und Bewohner aufeinander. Im Salon wird diskutiert, es werden Politik und Geschäfte gemacht – und natürlich tragen auch Kurtisanen zur Unterhaltung bei.

Violet, ein sehr eigensinniges und selbstbewusstes Mädchen, nimmt diese Welt als selbstverständlich hin und bewegt sich natürlich in ihr. Selbst sieht sie sich als Amerikanerin. Continue reading [Buchbesprechung] Amy Tan: Das Kurtisanenhaus

[Buchbesprechung] Lesley Downer: Die letzte Konkubine

Sachi lebt mit ihren Adoptiveltern im Japan um 1860, als ein Großereignis seinen Lauf nimmt: Die Schwester der Kaisers zieht mit ihrem Gefolge durch das Dorf ziehen, um den Shogun zu heiraten. 

Sachi – ganz entgegen der Etikette – blickt auf und schaut die Prinzessin an. Diese lässt Sachi in ihrem Gefolge mitreisen und nimmt sie im Frauenpalast auf. Dort lernt das junge Mädchen das strenge und traditionelle Leben des alten höfischen Japan kennen und wird wenige Jahre später zur letzten Konkubine des Shoguns.

Doch als der Shogun an den Folgen eines Mordanschlags stirbt und Unruhen über das Land ziehen, muss Sachi fliehen. Zunächst reist sie als Doppelgängerin der Prinzessin, schließlich als sie selbst – und erkennt, dass trotz der höfischen Erziehung auch immer noch das Bauernmädchen in ihr steckt, dass sie einst war. Continue reading [Buchbesprechung] Lesley Downer: Die letzte Konkubine

Abraham Verghese: Rückkehr nach Missing

Der Familienroman beschreibt das Aufwachsen der Zwillingsbrüder Marion (ja, hier ein männlicher Vorname) und Shiva, die als Waisenkinder bei einem Ärzteehepaar im äthiopischen „Missing“-Krankenhaus leben. Dieser Name leitet sich aus dem Wort „Mission“ ab und ist von den Menschen vor Ort adaptiert worden.

Die Vorgeschichte ist dramatisch: Die Mutter der Zwillinge wächst in Indien auf und wird als junge Frau, zur Nonne und Krankenschwester ausgebildet, nach Aden geschickt. Während der langen Schiffsreise erkranken fast alle an Bord an Typhus. Der junge britische Arzt an Bord nimmt dankbar ihre Hilfe bei der Pflege der Kranken an, bevor auch er Symptome zeigt.  Continue reading Abraham Verghese: Rückkehr nach Missing