[Buchbesprechung] Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise…

Wolkenbruchs Reise… in die Arme einer Schickse

Mordechai Wolkenbruch, genannt Motti, ist 25, Student, lebt in Zürich – und ist Jude. Sein Leben läuft seiner Ansicht nach normal: „Wir führten das Leben einer gewöhnliches, frommes jüdisches Dasein: Meine mame kochte knajdlech* und hielt die allgemeine Disziplin aufrecht, und mein tate verkaufte den Zürcher jidn Versicherungen“.

(* Im Buch wird teilweise jiddisch gesprochen, daher die ungewohnte Schreibweise. Aber keine Sorge: Laut lesen sowie das Glossar am Ende des Buches helfen weiter!)

Mame, die Mutter, hält dabei die Zügel nicht nur in der Hand. Sondern sie steuert auch nach ihrer eigenen Vorstellung das Leben ihres jüngsten Sohnes. Daher lief Mottis Leben bis jetzt in vorgezeichneten Bahnen. Allerdings ist die mame nun der Meinung, ihr jüngster Sohn müsse  schleunigst eine passende (und natürlich fromme jüdische) Frau finden. Zahlreiche von ihr eingefädelte Treffen mit geeigneten Kandidatinnen erzielen allerdings nicht den erwünschten Erfolg.  Continue reading [Buchbesprechung] Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise…

Geschenkideen historische Romane

Gerade wurde ich nach lesenswerten historischen Romanen gefragt. Daher hier eine kleine Auswahl meiner Lieblinge!

Amitav Ghosh, Das mohnrote Meer

Bangladesh um 1850: Viele armen Bewohner bauen Opium an, die Kolonialmacht Großbritannien beutet die armen Bauern „dankbar“ aus. Das ist der Rahmen für einen bunten Roman mit ganz unterschiedlichen Protagonisten: einen verarmten Prinzen, ein Bauernpaar, ein Junge, der von zu Hause weggeht. Sie alle haben mit dem Opium zu tun, also bauen es an oder konsumieren es. Und alle haben Gründe, ihr altes Leben zu verlassen und sich schließlich auf einem Auswandererschiff wieder zu treffen. Opulent erzählt, tolle Charaktere und Landschaftsbeschreibungen. Habe ich sehr gern gelesen!

Der Nachfolgeband ist gerade erschienen, er liegt aber noch auf meinem „Lesen!!!“-Stapel.

(Heyne TB, 9,95 Euro. ISBN 978-3-453-40597-4)

Ildefonso Falcones, Die Kathedrale des Meeres

Barcelona um 1500, der Junge Arnau kommt auf der Flucht in die freie Stadt Barcelona. Der junge Jude ist hier sicher, erlebt aber auch Diskriminierung. In seiner Nähe befindet sich eine kleine Kapelle, die zu einer großen Kathedrale umgebaut wird: Santa María del Mar. Der Leser wird auf die lange Lebensreise Arnaus mitgenommen, der verschiedene Berufe ausübt und wechselvollen politischen Wandlungen Barcelonas unterworfen ist. Auch für Nicht-Spanienkenner ein anspruchsvoller, gut recherchierter Roman, den ich mal über Silvester gelesen habe und gar nicht aufhören wollte…!

(Fischer TB, 12,95 Euro. ISBN 978-3-596-17511-6)

Maria Fiorato: Das Geheimnis des Frühlings

Italien, 1481: Luciana verdient ihr Geld als Straßenmädchen, als sie angeheuert wird, um Botticelli Modell zu stehen für das Gemälde „Primavera“ (Der Frühling). Geschmeichelt geht sie darauf ein, stiehlt dann aber aus Frust eine Skizze, da sie am Ende nicht entlohnt wird. Bald muss sie fliehen, die Skizze scheint wertvoll zu sein, Menschen in ihrer Umgebung müssen deswegen sterben. Auf der abenteuerliche Flucht versucht sie mit Hilfe eines Mönchs das Geheimnis hinter dem Gemälde zu lösen. Das Buch ist eine schöne und leicht geschriebene Geschichte, die sowohl Krimi, Liebesgeschichte, Kulturgeschichte als auch Kunstgeschichte in sich vereint. Ein schöner Schmöker!

(Blanvalet TB, 9,99 Euro. ISBN 978-3-442-37480-9)

Julie Orringer: Die unsichtbare Brücke

Ein Familienroman, der mich von Beginn an in den Bann gezogen hat: Hauptfigur ist der junge Andras, der aus Budapest nach Paris reist, um dort Architekturstudium zu beginnen.

Es ist 1937, und für einen Juden ist es damals schon schwierig, ein Visum und alle nötigen Papiere zu bekommen – aber mithilfe der jüdischen Gemeinde klappt es. Ohne ein Wort Französisch kommt Andras in Paris an. Er lernt jüdische Mitstudenten kennen, auch ein Professor ist Jude und Ungar – und Andras trifft die geheimnisvolle Claire Morgenstern, deren Familie er schon kurz vor der Abreise zufällig kennen gelernt hatte.

All das ist nur der Auftakt zu zwei intensiven Jahren in Paris, seiner Beziehung, einer amour fou, zu Claire und dem immer deutlicher werdenden Antisemitismus und dem Aufziehen des Nationalsozialismus. Wie eine Gewitterfront legt dieser sich über Andras‘ Leben, er muss nach Budapest zurückkehren. Die Repressalien nehmen ihren Lauf.

Orringers Romanepos (auf über 800 Seiten!) liest sich sehr gut, ist sprachlich herrlich und gut übersetzt. Die Dramatik der NS-Zeit wird den Lesern hier auf eine neue Art bewusst, denn wer kennt sich schon mit dem ungarischen Arbeitsdienst während des Kriegs aus? Und das persönliche Auf und Ab des Schicksals von Andras und Klara nimmt einen gefangen.

Erst am Ende wird klar, dass Orringer hier Teile ihrer Familiengeschichte verarbeitet. Zu dicht, zu wenig konstruiert ist die Handlung auch, als dass sie so hätte erdacht werden können.

Insgesamt: ein Buch mit hoher Intensität, das einen manchmal auch schlucken lässt – vor Glück, aber auch vor Unglück und Schicksal. Sehr lesenswert!

Julie Orringer: Die unsichtbare Brücke. KiWi 2011.

Jonathan Tropper: Sieben verdammt lange Tage

Vier sehr unterschiedliche Geschwister treffen sich zur Beerdigung des Vaters wieder, um eine Woche lang Schiwa zu sitzen – die traditionelle jüdische Totenwache.

Der Ich-Erzähler Judd holt dabei etwas aus und erzählt das, was kurz zuvor passiert ist. Er hat nämlich seine Frau verlassen. Allerdings, weil er sie an ihrem Geburtstag mit seinem eigenen Chef im Bett erwischt hat. Seitdem ist sein Leben – verständlicherweise – etwas aus den Fugen geraten. Weil er natürlich auch seinen Job geschmissen hat.

Und nun ist der Vater nach langer Krankheit gestorben.

Dass sie dabei alle wieder zuhause bei der Mutter wohnen müssen, ist die eine Sache. Eine andere, dass sie alle in ihrem Leben jeweils mit diversen Problemen zu kämpfen haben. Judds Schwester ist mit einem Börsianer verheiratet, der eigentlich nur an seinem Mobiltelefon hängt und „Verkaufen!“ schreit.

Die drei kleinen Kinder machen es nicht einfacher. Der jüngste Bruder erscheint mit einer älteren Frau – seiner „Verlobten“, und alle Familienmitglieder sind sicher, dass das nicht gut gehen kann. Der „Kleine“ war noch nie zuverlässig. Der älteste Bruder dagegen steht in der Pflicht, das vom Vater aufgebaute Sportgeschäft weiter zu führen, aber auch in seinem Leben geht es nicht ohne Probleme.

Dazu kommt eine Mutter, die sich als Koryphäe beim Thema kindliche Sauberkeitserziehung und zahlreichen Büchern landesweit einen Namen gemacht hat. Allerdings trägt sie auch in ihrem Alter immer noch mit Vorliebe weit ausgeschnittene Oberteile und möglichst kurze Röcke. Das halten ihre Kinder nicht unbedingt für angemessen, wenn es um die Totenwache geht…

Sarkastisch-humorvoll und doch auch nachdenklich erzählte Familiengeschichte, die spannend zu lesen ist und überraschende Wendungen enthält.

Jonathan Tropper: Sieben verdammt lange Tage. Knaur 2010.