Isabel Allende: Mayas Tagebuch

Isabel Allendes neuestes Buch nimmt uns mit in eine abgelegene Landschaft: Chiloé, ein im Süden Chiles gelegenes Insel- und Naturparkgebiet, in das sich bestenfalls einzelne Touristen verirren, um schamanische Praktiken zu bestaunen.

Hierhin kommt die 19jährige Maya Vidal eines Tages – mehr oder weniger unfreiwillig, denn sie stammt aus Kalifornien und hat außer der Tatsache, dass ihre Großmutter aus Chile stammt, keinen weiteren Bezug zum Land. Maya hat allerdings eine sehr bewegte Vergangenheit, die die Autorin sie in Form eines Tagebuchs erzählen lässt. Continue reading Isabel Allende: Mayas Tagebuch

Colm Tóibín: Brooklyn

Was für ein schönes, unaufgeregtes Buch!

Die junge Eilis wandert in den 50er Jahren aus Irland nach New York aus, mehr oder weniger gegen ihren Willen oder Zutun. Die Brüder sind von zuhause weggegangen, die große Schwester verdient das Geld, die Mutter ist allein. Eilis findet keine Arbeit.

Etwas unbedarft bricht sie die Reise ins Ungewisse an, und der Autor schildert immer wieder Situationen, in denen man mit Eilis mitleidet, gleichzeitig auch ein bisschen lächelt: auf dem Schiff wird sie nach dem Genuss des Abendbrotes seekrank. Später hat sie hat starkes Heimweh, gibt es aber nicht zu. Durch die Sprünge (die Ankunft wird z.B. gar nicht geschildert) fehlen Stellen, die aber andererseits auch wieder nicht wichtig sind, nur durch Eilis eigene Erinnerungen gefüllt werden.

Man merkt, dass Eilis sich weiter entwickelt, plötzlich eigenständiger wird. Ihre Sichtweise verändert sich – und nur aus dieser Sichtweise ist das Buch auch geschrieben. Das und der sehr schöne Stil des Autors machen das Buch absolut lesenswert, auch wenn Eilis‘ Schicksal ein typisches Einwandererschicksal nachzeichnet, das sie am Ende sogar noch vor eine Probe stellt.

Colm Tóibín: Brooklyn. Hanser 2010.

Isabel Allende: Die Insel unter dem Meer

In ihrem auf 40 Jahren angelegten historischen Roman nimmt Isabel Allende uns mit in die Karibik, genauer gesagt nach Saint-Domingue, dem heutigen Haiti.

Das kleine Mulattenmädchen Zarité wird an den weißen Plantagenbesitzer Toulouse Valmorain als Sklavin verkauft, um als Zofe für dessen neue Frau zu dienen.

Valmorain selber hat seine Zuckerrohrplantage von seinem verstorbenen Vater geerbt, wollte eigentlich nicht in der Karibik bleiben, sondern in Frankreich Karriere machen. Aber das Schicksal versetzt ihn auf eine Insel mit sehr harten klimatischen Bedingungen und einer Kultur voller Voodoozauber – und Sklavenhaltung, der er im Grunde nicht wirklich zustimmt. Aber um seine Plantage bewirtschaften zu können, duldet er sie.

Zarité ist kaum neun Jahre alt, als sie auf die Plantage kommt, hat eigentlich den Wunsch nach Freiheit und versucht diesem Wunsch ihr Leben lang nachzukommen. Ihre neue Herrin leidet allerdings unter den klimatischen Bedingungen und wird nach zahlreichen Fehlgeburten und der Geburt ihres Sohnes zunehmend verwirrt und lebensuntüchtig. Zarité wird für Sohn Maurice zur Ersatzmutter.

Obwohl Valmorain sich irgendwann Zarité in sein Bett holt, ihr das erstes Kind wegnimmt, gibt Zarité nicht auf. Ihr zweites Kind, ein Mädchen, darf auf der Plantage bleiben und wächst wie eine Schwester für Maurice auf.

Später begehren die Sklaven gegen die herrschenden Franzosen auf, es kommt zu kriegerischen Unruhen, und Valmorain verlässt – mit Zarité und durch ihre Hilfe – die Plantage, und schließlich auch die Insel. Über Kuba als Zwischenstation landen sie schließlich alle in New Orleans, wo Valmorain und sein Schwager eine neue Plantage aufbauen.

Freude und Bekannte sowohl von Valmorain als auch von Zarité kommen ebenso in die Stadt, und irgendwann schafft es Zarité schließlich wirklich, sich und ihrer Tochter die Freiheit aus der Sklaverei zu erkämpfen. Aber in der neugewonnene Freiheit lebt es sich nicht einfach wie zunächst vermutet. Und dann ist da auch noch die Liebe von Valmorains Sohn Maurice zu Zarités Tochter – und damit seiner Halbschwester – Rosette…

Ein bunter, spannender, teilweise auch politischer und nachdenklich machender Roman über das Leben von Zarité und Valmorain, der sich gut liest und seine Leser in die fremde Welt der Karibik im 18./19. Jahrhundert entführt.

Erschienen ist „Die Insel unter dem Meer“ 2010 bei Suhrkamp.

Jennifer Haigh: Auftauchen

In der normalen amerikanischen Familie McKotch gibt es scheinbare normale Probleme: Mutter, Vater, drei Kinder; das eine mehr, das andere mehr verhätschelt. Doch als bei der 13-jährigen Tochter Gwen ein Gendefekt festgestellt wird, der bewirkt, dass sie nicht weiter wachsen wird, beginnt die Familie langsam auseinander zu brechen.

Die Mutter Paulette sorgte sich immer übermäßig um alle; Vater Frank war nur auf seine Karriere bedacht und merkte nicht, wie er sich dabei von der Familie entfernte. Der älteste Sohn Billy war zwar Muttersohn, wird später aber leider schwul und kann seiner Familie gegenüber nicht ehrlich sein. Dagegen ist der jüngere Sohn Scott immer hyperaktiv gewesen und ist auch später der „Loser“, der nichts auf die Reihe bekommt. Die Ehe der Eltern zerbricht, und alle kauen allein auf ihren Problemen herum.

Gwen dagegen zieht sich lange in ihre Nische zurück, bis sie eines Tages ihre große Liebe trifft und plötzlich beginnt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen – zum Erstaunen der ganzen Familie. Die muss nun auf einmal wieder aufeinander zugehen.

Das Tolle an diesem Roman ist vor allem die wechselnde Erzählperspektive, denn alle fünf Familienmitglieder berichten aus ihrer Sicht von den Geschehnissen. Irgendwie fügt sich die Geschichte erst durch die unterschiedlichen Eindrücke zu einem Gesamtbild zusammen – alle nachvollziehbar und doch so verschieden.

Schöner und gut geschriebener Familienroman, der zum Nachdenken über die Zerbrechlichkeit von Familiengefügen, Hoffnungen, Erwartungen und Träumen anregt – aber auch die Hoffnung nicht aufgibt.

Jennifer Haigh: Auftauchen. Droemer 2010.